Namaste: Spiritualität, Respekt und die Suche nach Wahrheit
Eine persönliche Reflexion über kulturelle Aneignung und die Bedeutung im Yoga
Vielleicht ist es dem einen oder anderen aktuellen Teilnehmer aufgefallen, dass ich in den letzten Stunden des aktuellen Kurses am Ende nicht mehr das Wort “Namaste” benutzt habe.
Das hatte einen Grund. In der modernen Yoga-Szene wird gerade das Thema der kulturellen Aneignung sehr diskutiert. Kulturelle Aneignung bezeichnet das Übernehmen von Elementen einer fremden Kultur ohne deren Kontext oder Respekt. In der Yoga-Szene wird oft kritisiert, dass Begriffe wie Namaste oberflächlich genutzt werden, ohne die tiefere Bedeutung zu berücksichtigen.
Für mich persönlich fühlten sich die Diskussionen nie wirklich stimmig an, obwohl ich sie natürlich durchaus nachvollziehen kann. Aber ich selbst hatte einfach keine Resonanz damit. Vielmehr erschien es mir so, dass viele, die das Thema diskutieren, selbst nur wenig spirituelle Erfahrungen gemacht haben und etwas sehr kopflastig unterwegs sind. Die Herangehensweise wirkt auf mich oft distanziert, und ich spürte wenig von der tieferen Verbindung, um die es im Yoga eigentlich geht.
Keine Frage, es gibt eine Menge zu diskutieren und vor allem auch zu kritisieren in der westlichen, modernen Yogaszene. Für mich hat allerdings weder diese Szene noch solche Diskussionen wirklich etwas mit Yoga zu tun.
Mein persönlicher Umgang mit Namaste
Ich habe sehr viel Respekt vor der Yoga-Tradition und den alten Lehren und dem Wissen, das uns die weisen Yogis überliefert haben. So war kulturelle Aneignung für mich nie ein Thema. Ich bin absolut davon überzeugt, dass ich mit diesem Wissen mit meinen individuellen Möglichkeiten sehr gewissenhaft und respektvoll umgehe.
Es wird zum Beispiel in diesen Diskussionen kritisiert, dass das Wort Namaste in Indien eine Begrüßung ist und keine Verabschiedung, so wie es viele am Ende einer Yogastunde benutzen – und so auch ich.
Ich benutze Namaste weder als Begrüßung noch als Verabschiedung, sondern zum Beenden der gemeinsamen spirituellen Praxis. Wörtlich übersetzt bedeutet Namaste: “Ich verbeuge mich vor dir”. Doch wenn wir weiter schauen und eine tiefere Bedeutung haben wollen, heißt es: “Das Göttliche in mir, grüßt das Göttliche in dir.”. Eine besonders schöne Interpretation wird Mahatma Gandhi zugeschrieben, der einmal gesagt haben soll:
„Ich ehre den Platz in dir, in dem das gesamte Universum wohnt. Ich ehre den Platz des Lichts, der Liebe, der Wahrheit, des Friedens und der Weisheit in dir. Ich ehre den Platz in dir, wo, wenn du dort bist und auch ich dort bin, wir beide eins sind.“
Ich habe ein festes Ritual zum Ende meiner Yogastunden. Wir falten die Hände aneinander vor unserem Herzzentrum, tönen dreimal gemeinsam das Om, danach legen wir die Hände an die Stirn und bitten um die Klarheit der Gedanken, dann legen wir die Hände an die Lippen und bitten um die Wahrheit des gesprochenen Wortes, dann legen wir die Hände an unser Herzzentrum und bitten um die Reinheit der Gefühle. Dann sage ich: „Lächle deinem Herzen zu und verneige dich vor dir selbst. Namaste“ und wir verneigen uns alle voreinander. Seit nun zehn Jahren unterrichte ich Yoga, und seit zehn Jahren verwende ich dieses Abschlussritual mehrmals wöchentlich. Ich ließ alle meine bisherigen Yogastunden genau so enden.
Doch ich beobachtete nun weiter die Kritik und das Thema der kulturellen Aneignung, und ich fing an, dieses Ritual und das Benutzen des Wortes Namaste für mich zu hinterfragen. Ist es wirklich nicht in Ordnung, es hier im Westen zu nutzen?. Dürfen wir es nicht am Ende einer Yogastunde sagen, weil es angeblich eine Begrüßung ist? Mache ich da wirklich etwas falsch? Und ist es vielleicht sogar respektlos gegenüber dem alten Yoga-Wissen und der Kultur Indiens?
Warum fühlte es sich für mich aber trotzdem so wahrhaftig und richtig an?
Für mich war klar, ich benutze Namaste in einem spirituellen Kontext. Es ist dahingehend für mich weder eine Begrüßung noch eine Verabschiedung, sondern eine Erinnerung daran, dass wir alle eins sind. Dass ich das, was ich in dir sehe, auch in mir sehe. Dass ich das, was ich in dir ablehne, auch in mir ablehne. Dass das, was du bist, auch ich bin. Und ist es mit dieser Absicht und Bedeutung nicht völlig egal, ob wir es nun am Anfang, Ende oder inmitten in einer Yogastunde benutzen?
Der Verstand verunsichert, das Herz beleidigt
Doch mein Verstand war verunsichert und mein Herz war beleidigt. So beschloss ich, im aktuellen Kurs das Wort Namaste wegzulassen, bis ich Klarheit hatte.
Es war seltsam für mich und sicherlich auch für einige Teilnehmer, die dieses Ritual über viele Jahre kannten und es zum Teil auch erwiderten. Ich thematisierte es aber nicht, und es fragte zuerst auch niemand danach (was ich übrigens auch interessant fand).
Das Namaste nicht mehr zu sagen, fühlte sich leer für mich an – nicht vollständig, und es fehlte mir sehr, gerade weil es eine so große Bedeutung für mich hat. Doch meine Verunsicherung hielt an, denn ich wollte definitiv niemanden, weder kulturell noch spirituell, verletzen.
Das Thema bewegte sich von Woche zu Woche weiter in jeder Stunde in mir, und doch wusste ich, dass es sich klären würde. In vielen Dingen, die Yoga, mein Unterrichten und auch die Themen betreffen, die ich in meinen Stunden behandle, gibt es ein tiefes Vertrauen, dass sich alles zur rechten Zeit fügen wird, wenn die Zeit reif ist. Ich weiß nicht, woher dieses Vertrauen kommt (oder weiß ich es doch? 😇), aber es war von Anfang an da – tatsächlich seit meiner allerersten Yogastunde, die ich gegeben habe
Ich erinnere mich noch genau, wie ich nach meiner allerersten Yogastunde als Lehrerin – das war vor über zehn Jahren, damals noch in einer anderen Yogaschule – nach Hause fuhr und sofort wusste, welches Thema ich in der darauffolgenden Woche behandeln würde. Und so ist es bis heute geblieben. Oft weiß ich am Anfang meiner achtwöchigen Kurse, welches Thema die gesamte Einheit umfasst, doch die einzelnen Stunden fügen sich meist erst eine Woche vorher zusammen. Und ja, ich muss gestehen, wenn ich Sonntagabend noch nicht weiß, was ich am Dienstag unterrichten werde, werde ich manchmal immer noch nervös. Doch meine Intuition hat mich diesbezüglich noch nie im Stich gelassen, und ich vertraue darauf, dass sich das jeweilige Thema zur rechten Zeit zeigen wird.
Vielleicht sei an dieser Stelle erwähnt, dass alle meine Stunden einem bestimmten Thema gewidmet sind. Die Themen sind jedoch nicht wie im Mainstream-Yoga üblich „Yoga Deep Stretch Vinyasa“, „Happy Hips“ oder „Bauch, Beine, Balance“ oder Ähnliches. So etwas wirst du in meinen Stunden nicht finden. In all meinen Stunden geht es immer und immer wieder um die Entwicklung von Bewusstsein – auf allen Ebenen: körperlich, geistig, seelisch. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Herzen zu berühren, damit wir wieder in Verbindung mit unserer tiefsten Weisheit treten. Daher sind meine Themen weniger körperlich ausgerichtet, denn ich möchte tiefere Schichten erreichen und sowohl die persönliche als auch die spirituelle Entwicklung eines jeden fördern. Und genau darum geht es im Yoga, um die Selbsterkenntnis und den Weg zu deinem wahren Selbst. Falls du mehr wissen möchtest, hör doch gern auch mal in meinen Podcast “Yoga ist kein Sport” rein.
Die Antwort, nach der ich suchte
Ich war also im Vertrauen, dass sich auch dieses Thema rund um Namaste -ja oder nein- finden wird und ich früher oder später Klarheit darüber erlangen werde. Und so war es dann auch.
Vor ein paar Tagen sah ich ein Interview – im Übrigen ein großartiges Interview – mit Michael A. Singer, der für mich einer der wichtigsten und bedeutendsten spirituellen Lehrer unserer Zeit ist. (Klicke nach dem Lesen 😉 auf das Bild, um zum Interview zu gelangen.)
Kurz zu Michael: Michael A. Singer meditiert bereits seit seinem 20. Lebensjahr und hat einige wundervolle Bücher geschrieben. “Die Seele will frei sein”, “Das Projekt Hingabe” und “Lebe unbeschwert” haben meine persönliche und spirituelle Entwicklung nachhaltig geprägt. Ich liebe es, wie er komplexe spirituelle Themen auf einfache und humorvolle Weise zugänglich macht. Zudem hat er 1975 das “Temple of the Universe” gegründet, ein spirituelles Retreat-Zentrum in Florida, in dem Menschen aller Glaubensrichtungen Meditation und Yoga praktizieren können. Jedes Mal, wenn ich etwas von ihm höre oder lese, fühle ich mich inspiriert und ermutigt, meinen eigenen spirituellen Weg weiterzugehen.
In diesem besagten Interview drückte Michael wieder einmal etwas aus, das mich tief in meinem Herzen berührte. Ich kann es nur jedem empfehlen, es sich einmal oder sogar mehrmals 😉 anzuhören. Als das Interview sich dem Ende neigt und die Interviewerin (Laura Malina Seiler) sich bedankt, legt Michael seine Hände vor seinem Herzen zusammen, verneigt sich und sagte: “Namaste”.
Ich lächelte, mein Herz hüpfte und ich hatte Tränen in den Augen. Da war sie plötzlich, die Antwort, nach der ich gesucht hatte.
Wenn jemand wie Michael A. Singer, der selbst großen spirituellen Lehrern persönlich begegnet ist und seit so vielen Jahren tief in Yoga und Spiritualität verwurzelt ist, das Wort Namaste am Ende eines Gesprächs verwendet, dann kann es nicht falsch sein. Ich verneigte mich ebenfalls und bedankte mich aus tiefstem Herzen bei ihm.
In diesem Moment war mein Verstand wieder beruhigt und zog sich zurück. Mein Herz lächelte und übernahm wieder.
Mehr fühlen, weniger denken
Es gibt so viele Diskussionen rund um das Thema der kulturellen Aneignung, und es scheint leider auch in der modernen Yoga-Szene wieder ein Trend zu sein, sich damit auseinanderzusetzen. Doch für mich fühlt sich diese Diskussion oft wenig wahrhaftig an. Wie gesagt, ich verstehe den Hintergrund, und ich finde es ebenso beschämend, wenn beispielsweise T-Shirts mit Aufdrucken wie “Namaste Bitches” verkauft werden. Keine Frage – das ist kein respektvoller Umgang mit der Kultur Indiens.
Aber die Kritik daran, Namaste auch am Ende einer Yogastunde nicht mehr benutzen zu dürfen, fühlte sich für mich nie stimmig an. Denn es ist in meinem Unterricht nicht als Gruß gemeint, wie man es vielleicht in Indien auf der Straße verwenden würde. Namaste wird hier ganz klar in einem spirituellen Kontext verwendet, in einer spirituellen Lehre, und verdient somit auch den allerhöchsten Respekt. Genau diesen Respekt drücke ich damit aus.
Für mich fühlt es sich an, dass diese Diskussionen – auch wenn sie in vielen Punkten ihre Berechtigung haben – sehr aus dem Verstand herauskommen. Es geht darum, Recht zu haben, es richtig machen zu wollen oder im besten Fall natürlich auch aufzuklären. Doch sollten wir nicht längst erkannt haben, dass Yoga nicht auf YouTube stattfindet und wenig mit fancy Leggings oder Namaste-T-Shirts zu tun hat? Wir wissen leider auch, dass das ursprüngliche Wissen um Yoga verwässert und oft missverstanden wird. Ja, deshalb ist vielleicht auch die Aufklärung über die Kultur Indiens wichtig. Aber hat das allein wirklich etwas mit einer tiefen Verbindung zur Spiritualität zu tun, mit dem Zugang zu unserer inneren Weisheit und unserem höheren Selbst?
In der trendigen Yogaszene ist es auch üblich aufzufallen und auch lauthals zu rufen: “Das ist aber nicht okay”, “Das macht man aber nicht” oder “Ich weiß es besser”.
Doch Yoga ist nicht laut, viel und Tun. Yoga ist still, reduziert und Sein.“
Ich lade dich ein, mehr zu fühlen statt zu denken. In eine tiefe Verbindung zu gehen mit dir selbst und deinem Herzen, anstatt dich auf äußere Meinungen oder Dogmen zu verlassen. Wahre spirituelle Praxis entsteht nicht aus intellektuellen Diskussionen, sondern aus einer tiefen, persönlichen Verbindung. Yoga ist auch keine körperliche Praxis oder etwas, das man “richtig” oder “falsch” machen kann. Es geht um die innere Reise, die Verbindung zu dir selbst und die Weisheit in dir zu finden, statt im Außen.
Ein Zitat von Rumi lautet: „Es gibt einen Ort jenseits von richtig und falsch. Dort treffen wir uns.“
Dieser Moment im Interview mit Michael Singer und seine Geste erinnerten mich daran, dass ich bereits alle Antworten in mir trage – alle Antworten des Universums. Während die oft lautstarke Yogaszene und eine wenig bewusste Gesellschaft mich zwar oft verunsichern können, erschüttern sie mich jedoch nicht mehr. In mir existiert eine Instanz, die größer ist als der Verstand und das Ego jemals sein könnten. Ich habe gelernt, meinem Gefühl zu vertrauen, und ich fühle es aus ganzem Herzen.
In Dankbarkeit an all jene wunderbaren Seelen, die uns die Lehren des Yoga überliefert haben. In Dankbarkeit an das große Yogawissen und die großen Meister der letzten Jahrtausende. Und in großer Dankbarkeit an Michael A. Singer, der Überbringer der Botschaft, die mir meine Klarheit zurückgegeben hat, nach der ich suchte.
NAMASTE.
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